Wem gehört die Zukunft?: „Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.“
Eine etwas andere Buchempfehlung und etwas gesellschaftskritsicher stelle ich hier mit „Wem gehört die Zukunft?: „Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.“ vor, einem Buch von Jaron Lanier.
Take-Aways
- Reclaim your personal data.
- Nano-Payments für deine eigenen Aktivitäten, wenn andere davon profitieren.
- Nichts ist umsonst – nur weil es einen Dienst gibt, der dir Dinge kostenlos anbietet, heißt es nicht, dass sie nicht mit dir Geld verdienen.
- Dieses Prinzip ist auch als No-Free-Lunch-Theorem bekannt – »nichts ist umsonst«.
- Es gibt Alternativen zur bestehenden Datenökonomie.
- Ja, die Zukunft ist noch nicht komplett verbaut.
- Klar, die Zukunft trifft immer irgendwann ein.
- Geschichte lebt, und die Zukunft ist kein Zufallsprodukt.
- Die Zukunft sollte eine Art Theater sein. Sie sollte lustig und unkonventionell sein und uns dazu bringen, unsere heutige Zeit mit anderen Augen zu sehen.
- Allen ein Grundeinkommen!
Jaron Lanier
Jaron Lanier galt einst als Vater des Begriffs Virtuelle Realität, was mich knapp 20 Jahre danach fasziniert und was die Menschheit noch nachhaltig beschäftigen wird.
[Er] ist ein US-amerikanischer Informatiker, Künstler, Musiker, Komponist, Autor und Unternehmer. Er betrieb von 1984 bis 1990 mit VPL Research ein Unternehmen zur Entwicklung und Vermarktung von Virtual-Reality-Anwendungen. Seine Positionen gegen die Wikipedia und die Open-Source-Bewegung wurden breit in der Öffentlichkeit diskutiert. Im Jahr 2010 war Jaron Lanier unter den Nominierten der TIME 100 list of most influential people. Im Oktober 2014 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
(Quelle, Update 01.02.2021)
Technik-Philosophie
Dieses Buch ist voll mit philosophisch-technischen Ideen.
Informationshoheit heute
Früher erlangte man Macht und Einfluss, indem man die Kontrolle über das erlangte, was die Menschen benötigten, etwa Öl oder Verkehrswege. Heute kann man Macht in Form von Informationshoheit erlangen, die vom effektivsten Rechner in einem Netzwerk geschaffen wird. In den meisten Fällen ist das der größte Rechner mit der besten Vernetzung, allerdings genügt manchmal auch ein kleiner, effektiv genutzter Rechner, wie der Fall WikiLeaks zeigt.
Wir werden vielmehr als kleine Rädchen in einer gigantischen Informationsmaschine betrachtet. Dabei sind wir die einzigen Lieferanten der Informationen und gleichzeitig ihr Bestimmungsort, das heißt, wir geben der Maschine überhaupt erst ihren Sinn.
Getreu dem Motto Software eats the world:
Software könnte die letzte industrielle Revolution sein. Sie könnte alle kommenden Revolutionen zusammenfassen.
Eigene Datenhoheit
Selbst der legale Handel kann betrügerische Züge annehmen. Es gibt den Spruch: »Wer mit Glücksspiel richtig Geld verdienen will, der sollte ein Kasino eröffnen.« Er ist veraltet. Die neue Version lautet: »Wer mit dem Netz richtig Geld verdienen will, dem sollte ein Metaserver gehören.« Wenn Ihnen die schnellsten Computer mit Zugang zu Informationen über jedermann gehören, müssen Sie das Geld nur suchen, schon wird es auftauchen.
In einer Welt der digitalen Würde wäre jeder einzelne Mensch der kommerzielle Eigentümer aller seiner Daten, die sich aus seiner Situation oder seinem Verhalten ermitteln lassen. (Wenn man Informationen nur als Maske betrachtet, hinter der sich echte Menschen verbergen, erkennt man, dass digitale Daten einen beständigen Wert haben und nicht nur einen gelegentlichen.) Wenn eine Person etwas sagt oder tut, das selbst in geringem Maße zu einer Datenbank beiträgt, die es beispielsweise einem Algorithmus für maschinelle Übersetzung oder für Marktprognosen erlaubt, eine Berechnung durchzuführen, dann würde diese Person eine Nanozahlung erhalten, und zwar proportional sowohl zum Ausmaß ihres Beitrags als auch zum daraus resultierenden Wert.
Hypothek und Musikdateien
Eine Hypothek gleicht einer Musikdatei. Und eine verbriefte Hypothek ähnelt der Raubkopie einer Musikdatei. In beiden Fällen entstand für die Person, die früher einmal von der Sicherungsmaßnahme eines Deiches profitierte, kein unmittelbarer Schaden. Schließlich wurden nur ein paar Bits auf irgendeinem Computer neu geordnet. Es entstand nur eine abstrakte Kopie, eine unmerkliche kleine Veränderung, weit weg. Doch langfristig gesehen entsteht für die echten Menschen an der Quelle ein großer Schaden.
»Nullbegrenzung« ist immer noch das Leitprinzip für Freiheit, Leistung und Erfolg im Internetdesign. »Absolut jedes« Musikstück, »absolut jeder« Text, »absolut jedes« Video, erhältlich zu jeder beliebigen Zeit an jedem beliebigen Ort.
Zerschlagung
Der Begriff »Zerschlagung« genießt bei Technologieunternehmen fast Heiligenstatus. Für Venture-Capital-Gesellschaften ist die Formulierung üblich, man suche nach Geschäftsideen, die »Märkte schrumpfen lassen«. Etwas zu zerschlagen oder zu zerstören wird als große Leistung gefeiert. Im Silicon Valley hört man ständig, dass diese oder jene Branche reif für ihre Zerschlagung sei. Wir machen uns selbst etwas vor, wir tun so, als ob Zerstörung Kreativität erfordere. Das stimmt nicht. Es ist immer die gleiche Geschichte.
Walmart
Wal-Mart konnte praktisch den Preis und die Liefertermine diktieren, und das mit dem reduzierten Risiko und der Präzision einer Kampfdrohne. Stellen Sie sich vor, Sie hätten in den neunziger Jahren einen Betrieb für Wartung oder Ersatzteile. Ein Unternehmen, das Produkte an Wal-Mart verkauft, benötigt bestimmte Teile von Ihnen. Sie nennen Ihren Preis, doch daraufhin sagt man Ihnen: Tut uns leid, Wal-Mart hat einen Preis für unser Produkt festgelegt, der es uns nicht erlaubt, so viel zu zahlen, wie Sie verlangen. Wie sich herausstellt, hat Wal-Mart ziemlich genau kalkuliert, wo die Untergrenze für den Nettoprofit bei allen Beteiligten liegt. Oft müssen Sie dann feststellen, dass Sie auf die Preisvorstellung Ihres Kunden (gerade noch) eingehen können, auch wenn Sie sich eigentlich mehr vorgestellt haben. Wal-Mart benötigte nicht über alle Beteiligten direkte Informationen. Um ein Modell zu erstellen, genügen stichprobenartige Informationen über ein System. Das heißt, dass man jemanden indirekt ausspionieren kann, ohne dass man direkte Informationen über ihn sammelt. Stattdessen liefert das Verhalten derjenigen, die mit ihm interagieren, entsprechende Hinweise, aus denen sich automatisch ein grobes Gesamtbild erstellen lässt. Als die anderen großen Handelsketten erkannten, was Wal-Mart da gelungen war, engagierten sie ebenfalls Spezialisten und richteten ebenfalls große Rechenzentren ein. Aber es war zu spät.
Social Engineering
Ein Beispiel für Social Engineering wäre es, wenn sich zwei Menschen durch eine Partnerbörse im Internet kennenlernen und treffen, weil beide erwarten, dass die Algorithmen funktionieren. Menschen passen sich Informationssystemen an, ob bewusst oder unbewusst, und auch unabhängig davon, ob das Informationssystem so funktioniert wie erwartet oder nicht. Die Wissenschaftlichkeit ist irrelevant. Hier begegnet uns die moderne Version eines alten Rätsels: Man kann nur schwer sagen, ob ein König klug ist oder ob er nur gefürchtet wird. Jede Eigenschaft genügt als Erklärung für Situationen, in denen der König etwas vorhersagt, was dann auch eintrifft.
Klimawandel
Die Antwort auf den Klimawandel kann nicht lauten, dass wir Ereignisse aufhalten oder umkehren. Die Erde ist kein lineares System, sie ist kein Videoclip, den man vor- oder zurückspulen kann. Wenn wir gelernt haben, wie man den Klimawandel überlebt, wird sich die Erde massiv verändert haben. Sie wird künstlicher und stärker gelenkt sein.
Künstliche Intelligenz
Wenn Sie glauben, dass künstliche Intelligenz (KI) bereits genauso kreativ wie wirkliche menschliche Gehirne ist, die im Rahmen wirklicher menschlicher Lebensläufe arbeiten, dann glauben Sie wahrscheinlich auch, dass KI-Algorithmen verlässlicherweise die kreativsten Bergsteiger sind und die höchsten Gipfel finden. Das stimmt aber nicht. Kein Amazon-Preisfindungs-Bot wird jemals eine kreative Idee für die Preisgestaltung eines Artikels haben, sondern vielmehr einfach einen sehr vorhersehbaren Preiskrieg führen. Bots tun nicht mehr, als die Illusion von KI zu nutzen, um ihre Machtposition in Netzwerken zu verstärken, indem sie blind automatisierte Handlungen durchführen, zum Beispiel eine Preisreduktion auf null.
Vermögen
Oder, wie es in dem berühmten Zitat heißt, das normalerweise Louis Brandeis zugeschrieben wird: »Wir können in diesem Land eine Demokratie haben, oder wir können ein großes Vermögen haben, das sich in den Händen einiger weniger konzentriert, aber beides zusammen geht nicht.«
Idealerweise wird das Verdienen von Vermögen mehr der Art und Weise ähneln, wie wir Geld ausgeben. Es wird eine Vielzahl von Möglichkeiten zur schrittweisen Schaffung von Vermögen geben und nicht nur ein paar große »Beförderungen«, die den eigenen Status schlagartig verändern.
Eine nutzlose, parasitäre und genusssüchtige Menschheit lebt von dem Erbe, das die von ihren Vorfahren konstruierten Maschinen vor langer Zeit aufgebaut haben – das ist das Szenario von H. G. Wells’ Zeitmaschine ebenso wie von E. M. Forsters »Die Maschine versagt«.
Mikro-Payments
Aber mir kommt es hier hauptsächlich auf die finanzielle Seite an. Wenn das System den Ursprung einer Information kennt, kann es diese Informationsquelle auch dafür bezahlen. Das bedeutet, dass Sie, wenn Sie die Informationsquelle sind, automatisch ein Mikrohonorar bekommen, wenn ein Schnipsel Ihres Videos im Video von jemand anderem verwendet wird. Außerdem kann ein Nelsonisches System »skalieren«. Das Mash-Up eines Mash-Ups eines Mash-Ups wird vom System genauso unterstützt wie das erste Mash-Up, wobei für alle Beteiligten in der Nutzerkette ein Gleichgewicht zwischen dem Recht auf Bezahlung und dem Recht auf freie Meinungsäußerung gewahrt bleibt, gleichgültig wie lang die Kette auch wird. Wenn jemand Ihren Videoschnipsel benutzt und das Werk des Betreffenden, das Ihr Werk enthält, von einem Dritten weiterverwendet wird, dann bekommen Sie von diesem Dritten ebenfalls ein Mikrohonorar.
In einer humanistischen Informationsökonomie wird umfassend abgerechnet, daher verdienen die Menschen ihr Geld weiterhin als Modedesigner, Modefotografen und Models und verfügen über eine entsprechende wirtschaftliche Würde. In einer humanistischen digitalen Ökonomie ist die Wirtschaft allgegenwärtig, weil jede Tätigkeit und Information mit Geld vergütet wird. Modedesigner werden weiterhin ihren Lebensunterhalt mit Mode verdienen, selbst wenn Roboter bei uns zu Hause Kleidungsstücke für uns nähen. Und wer das Kleid eines Designers trägt, verdient vielleicht auch ein bisschen Geld, weil er es bekannt macht.
Singularität
Der Begriff »Singularität« besagt nicht nur – wir erinnern uns –, dass sich die Technologie ständig verbessert, sondern dass auch die Geschwindigkeit der Verbesserung zunimmt. Nun, wenn Sie dem Campus einen Besuch abstatten, sollten Sie damit rechnen, dass Sie als gewöhnlicher sterblicher Muggel mit der Erklärung eingeschüchtert werden, Sie würden gar nicht über die Vorstellungskraft verfügen, die Auswirkungen dieser Tatsache zu begreifen. Wir gewöhnlichen Menschen sollen ganz offensichtlich unverändert bleiben (ein Gedanke, den ich ablehne), während sich unsere Technologie zur autonomen, sich selbst verändernden Superkreatur entwickelt, deren Fähigkeit zur Selbstverbesserung immer schneller wächst.
Eine (seine) Vision für die Zukunft
Wenn ich mir einen leicht utopischen Ausblick erlauben darf: Ich könnte mir vorstellen, dass die ideale Lösung ein offener Markt für Entscheidungsreduzierungen wäre, in dem auch Einzelpersonen aktiv werden könnten. So wie es heute persönliche Assistenten gibt, würde es Entscheidungsassistenten geben, die für ihre Auftraggeber die Entscheidungen reduzieren. Für andere Kunden wäre es vielleicht besser, die Aufgabe an einen riesigen Cloud-Dienst für Entscheidungsreduzierung zu delegieren, der zig Milliarden Dollar wert wäre.
Ein besserer Strand Die alberne Strand-Szene vom Anfang des Buches würde in einer humanistischen Ökonomie anders verlaufen. Vielleicht so: Es ist ein sonniger Tag, und Sie bauen gerade eine Sandburg. Können Sie eine stabile Brücke über den Burggraben bauen? Sie fragen die Möwe. »Nein, ich kann keine Unterlagen darüber finden, dass das bei einem so breiten Burggraben funktioniert hätte«, antwortet sie. »Brücken aus Sand brechen in dieser Größe ein. Aber wir könnten natürlich dem Sand Roboterkörner beigeben.« »Nein«, sagen Sie zur Möwe. »Das wäre gemogelt.« Außerdem haben Sie keine Lust, Geld dafür auszugeben, dass Nanoboter für Sie im Sand spielen. Vorsichtig häufen Sie Sand zu einem Hügel auf und graben einen Tunnel hindurch. Das sieht ein bisschen aus wie der »Shipton-Bogen«, die gigantische Felsformation im äußersten Westen der Volksrepublik China. »Möwe, zeig mal eine 3D-Zwillingssimulation des Bogens!« Durch Ihre Augmented-Reality-Brille experimentieren Sie mit verschiedenen Formen der Simulation. Ah, eine Lösung! Sie rufen Ihre Freunde herbei. Die sind begeistert. »Möwe, schnell! Poste mir das Ding, bevor es einstürzt!« Kurz darauf sagt die Möwe: »Ihr Bogen wurde weltweit fünfundachtzigmal kopiert. Schauen Sie sich diese gigantische Version am Strand in Rio an.« Durch die AR-Brillen sehen Sie sich und Ihre Freunde zusammen mit feiernden Brasilianern am Strand von Rio stehen. Wow, ein hübscher Verdienst für heute.
Dein Verstand ist Software. Programmiere ihn. Dein Körper ist eine Hülle. Wechsle sie. Tod ist eine Krankheit. Heile sie. Die Ausrottung droht. Kämpfe dagegen an.
Grundeinkommen
Die häufigste Idee für eine gesellschaftliche Korrektur, die mir derzeit in Technologiekreisen begegnet, ist allerdings kein Startup-Unternehmen. Die bereits erwähnte »einfache« Lösung ist wirklich schockierend einfach. Wir sollen beim ökonomischen und politischen Denken wieder zurück auf Los gehen: Wir zahlen einfach jedem ein Grundeinkommen – dafür, dass er lebt. Da die Lebenshaltungskosten dank der fortschreitenden technologischen Entwicklung immer niedriger werden, argumentieren die Anhänger dieser Idee, komme man mit einer kleinen Unterhaltszahlung immer weiter. Also müssten wir den Leuten einfach Geld geben. Keinen Kredit, sondern Bargeld. Dann hätte jeder genug Geld, um an meinem Fantasiestrand zu sitzen und seine Herz-OP zu bezahlen. Es würde vielleicht nicht für einen Urlaub auf dem Mars reichen, oder wofür auch immer die Superreichen ihr Geld in Zukunft ausgeben werden, aber man könnte gut davon leben. Während ich noch an diesem Nachwort arbeitete, nahm ich zusammen mit Peter Norvig (dem ebenso liebenswürdigen wie scharfsinnigen Director of Research bei Google) an einer Podiumsdiskussion auf dem Campus der University of California in Berkeley teil. Dabei sprach sich Norvig für genau diesen Ansatz aus: »Viel mehr Menschen könnten etwas zur Gesellschaft beitragen, wenn sie sich keine Sorgen machen müssten, wie sie überhaupt über die Runden kommen«, erklärte er.